#ResidencyInsights
Miriam Coretta Schulte, Rahel Kesselring, Johanna-Yassira Kluhs, Oliver Roth, Felix Worpenberg

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#ResidencyInsights // Studio 3 at PACTZollverein

Im Rahmen einer Forschungsresidenz in Kairo wollte Miriam Coretta Schulte mehr über feministische Praktiken in der ägyptischen Hauptstadt lernen. Während der drei Monate fand sie sich in der glücklichen Lage, die Bekanntschaft zahlreicher charismatischer Menschen machen zu können, die sie zu Überlegungen über die Auswirkungen von Bewunderung veranlassten: Warum bewundern wir bestimmte Menschen so sehr, dass wir ihnen gerne ähneln würden? Wie können Nachahmung und Mimikry Teil eines Emanzipationsprozesses oder gar ein Element von Solidarität werden? 

›Mimesia‹ ist eine Forschungsplattform, die unsere eigene Handlungskompetenz, andere zu beeinflussen und gleichzeitig von ihnen geprägt zu werden, vereint.  Dennoch ist es eine kritische Form von Zelebration: Bewunderung wird auf ihr restauratives Potenzial ebenso wie auf ihre utopische Qualität hin untersucht.  

In ihrer Residenz bei PACT wird Miriam Coretta Schulte von einem Team unterstützt, zu dem Rahel Kesselring, Johanna-Yassira Kluhs, Oliver Roth und Felix Worpenberg gehören, die alle gemeinsam in den Bereichen Choreographie, Performance, Dramaturgie und Szenografie arbeiten. Für sie möchte ›Mimesia‹ beides sein: eine Praxis der erweiterten Wahrnehmung einer bereits geformten Identität und ein Raum der Hommage an diejenigen, die als wichtig erachtet werden. Sie versuchen daher, Strukturen, Partituren und Muster zu entwickeln, die bei der Deformierung einer dialektischen Annahme helfen: "Wir können uns gegenseitig beeinflussen, aber wir können die Gründe und Auswirkungen kaum kontrollieren. Oder können wir das? Fortsetzung folgt - auf der Bühne und im täglichen Leben.“

Die Produktion wird am 16. März in der Kaserne Basel uraufgeführt.

4 questions // Miriam Coretta Schulte

1. In eurer Zeit bei PACT habt ihr im Rahmen eines ›Showings‹ Teile eurer Arbeit dem Team und anderen Resident*innen gezeigt und danach Raum für Diskussion und Interpretation gelassen. Auch in der Dampfzentrale Basel habt ihr Anfang Februar zu einem solchen Showing eingeladen. Welche Impulse bringt euch dieser Austausch für eure Arbeit? 

 

Ich finde es generell schön, eine Außenperspektive zu bekommen. Es ist ja bekannt, dass es im Produktionsprozess oft die Tendenz gibt, das große Ganze aus dem Auge zu verlieren. Dagegen hilft mir der Austausch mit Anderen. Ich kann mich gut öffnen, bin eher weniger auf Schutz bedacht und kann mich gut auf Impulse von Außen einlassen und die aufnehmen. Das ist aber nicht selbstverständlich. Es hängt sehr von der spezifischen Konstellation von Leuten und auch vom Thema der Produktion ab.

In ›Mimesia‹ zum Beispiel spielt das Publikum eine zentrale Rolle. Für Entscheidungen über die Organisation von Raum und die Gestaltung von Erfahrungsqualitäten brauchen wir hier immer wieder Testpublikum, das bestenfalls gar kein Vorwissen hat. Der Arbeitsprozess von ›Mimesia‹ ist von Showings geprägt. ›Mimesia‹ hat auch schon reales Publikum getroffen. Auf dem Festival far° in Nyon und in der Kaserne in Basel haben wir schon kleine Versionen im Abendprogramm präsentiert. Das waren total wichtige Etappen in der weiteren Auseinandersetzung. In Nyon hatte das Publikum noch keine klare Rolle. Diese Erkenntnis war ein wichtiger Motor für den nächsten Schritt: wo wollen wir das Publikum hinführen?

Showings sind dann problematisch, wenn sie zum ›Muss‹ erklärt werden. Bei PACT hatten wir alle Freiheiten, zu entscheiden, ob, wann und wie wir das Stück zeigen. Wir hatten die Möglichkeit, etwas nicht Repräsentatives zu zeigen, etwas auszuprobieren, eine Frage zu stellen. Von hier nehmen wir vor allem mit, dass das Raumkonzept Interesse weckt. Dass es nicht so überfordernd ist, wie wir befürchtet hatten, dass die zwei Performer*innen zusammenfinden können. Dass das Setting auch gewaltsame Momente haben kann. Dass wir weiter an Strategien arbeiten, klar zu modulieren, wie angenehm es sein soll - und wie unangenehm. Wir haben gute Schlüssel mitgenommen, um das existierende Material weiter zu differenzieren.

 

2. Die Idee zum Stück kam ja in der Residenz in Kairo, die ursprünglich dortige feministische Praktiken erforschen sollte – welche Lebensgeschichten und Persönlichkeiten haben dich, Miriam, dort besonders gepackt und zu ›Mimesia‹ inspiriert?

 

Den Impuls gegeben für diese Arbeit haben eigentlich nicht Einzelne, sondern ein Zusammenhang von Menschen. Ein großes Netzwerk, in das ich geraten bin. Von dem ich aufgefangen wurde. Eine unbekannte und beeindruckende Art der Verbundenheit. Es gab eine große Selbstverständlichkeit, mit der Menschen sich gegenseitig und dann auch mich weiterempfohlen, - gereicht haben. In Kairo sind die Akteur*innen in Kunst und Politik durch die ganze Stadt verteilt, und aus politischen Gründen häufig unsichtbar. Sie sind also umso intensiver miteinander verbunden, um diese unsichtbaren Verbindungen stark zu halten. Das ist eine virtuose Praxis der Bezugnahme, die eigentlich ein differenziertes und kritisches Verhältnis zur Beschwörung der Individualität provoziert - so greife ich es zumindest für ›Mimesia‹ auf. 

Natürlich habe ich auch viele beeindruckende Persönlichkeiten getroffen, die unglaubliche Kämpfe austragen. Ich habe mich dabei beobachtet, wie ich in eine Zuhörerinnenrolle gefallen bin, einfach gestaunt habe.

›Mimesia‹ ist der Versuch, Bewunderung als soziale und politische Praxis ernst zu nehmen, dessen Funktionsweise zu untersuchen. Und dann eine ästhetische Form und Praxis daraus zu entwickeln. Die Fragen, die sich dabei stellen, reichen natürlich auch sehr stark in den persönlichen Bereich von Identität und Lebenspraxis. 

 

3. Das aktuelle Projekt basiert auf einem Solo von Miriam im vergangenem Jahr. Woher stammt die Motivation, überhaupt eine zweite Person einzuführen? Wie sieht eure gemeinsame Arbeitsweise im Studio aus?

 

›Mimesia‹ hat Anfang 2018 als Gruppenarbeit begonnen. Wir waren sieben Personen. Bevor wir überhaupt angefangen haben, uns mit Bühnenvorgängen und Publikum zu beschäftigen, haben wir mit Formen von Bewunderung experimentiert. Wir haben richtig geübt. Bewunderung geteilt und veröffentlicht. Uns gegenseitig dabei beobachtet. Und natürlich auch viel gefragt, wen wir heute bewundern wollen.

In Nyon gab es dann erste Präsentationen. Da ging es eher um das Teilen dieser Gruppenprozesse. Zwei Leute aus unserer Gruppe, Catalina und Felix haben präsentiert. Sie haben sich markiert und zur Verfügung gestellt als Repräsentanten einer gemeinsamen Arbeit. Und wie gesagt, war das Publikum da noch ziemlich verloren.

Dann fragte die Kaserne mich, ob innerhalb eines spezifischen Rahmens Solomaterial extrahiert und präsentiert werden könnte. Für mich war das ein guter Anlass, das Verhältnis zum Publikum überhaupt erst anzulegen. Es ist ein sehr persönlicher Archivabend entstanden. Jetzt sind wir in der dritten Phase und haben die Möglichkeit, beide Teile des Prozesses zusammenzuführen. Zu vertiefen, zu klären, zu erweitern.

Ich habe einen starken Wunsch, über ein zu persönliches Bewunderungsarchiv hinauszugehen. Die Gefahr sehe ich in dem Solo. Der Abend soll mit allen Beteiligten etwas zu tun bekommen. Der zweite Performer, Oliver, ist in diesem Sinne eine Öffnung zwischen Publikum und dem existierenden Archiv. Er macht konkrete Versuche der ›Vergemeinsamung‹ des Bewunderns. Die wären mit dem Solo allein nicht möglich.

 

4. Welche Rolle spielt Macht in der Bewunderung und der Nachahmung? Insbesondere in der Interaktion mit dem Publikum: welche Machtstrukturen entwickeln sich zwischen dem*der beobachtenden Performer*in und dem Publikum? 

 

Die Bühne ist per se ein Machtort. Theater ist ja grundsätzlich so angelegt, dass die Leute auf der Bühne viel Handlungsmacht zugesprochen wird und dem Publikum automatisch abgesprochen. Wir können aber versuchen, dieser grundsätzlichen Schieflage verantwortungsvoll zu begegnen. Deswegen verhandle ich häufig Handlungsverfahren auf der Bühne. Ich mag es, wenn ein*e Perfomer*in etwas versucht, weil es eine Fragilität oder Offenheit erzeugt. Und ich mag, wenn die Zuschauer*innen ein konkretes Angebot bekommen, das etwas mit ihnen zu tun hat. Das steckt auch in diesem Abend. 

Die Leinwände, die von zwei Seiten auf die Zuschauer*innen einwirken, bringen eine starke Einseitigkeit der Kommunikation hervor. Performer*innen können reagieren auf das Publikum - das kann eine Leinwand nicht. Die haut einfach durch. Das ist eine Brutalität. Wir versuchen allerdings, damit transparent umzugehen und den Leuten Wahlmöglichkeiten zu geben. Ob sie da überhaupt hinschauen möchten. Der Zuschauer*innenraum ist ja eine Art freie Fläche. Dieses Dispositiv sollte auch Bewegungs- und Blickfreiheit ermöglichen. Bis hin dazu, sich einfach hinzulegen, abzutauchen in der Menge. Gleichzeitig sind sie natürlich auch irgendwo zusammengefasst. Diese Ambivalenzen interessieren uns auch.

In meinem Part versuchen wir, die grundsätzlichen Asymmetrien zu durchbrechen, indem ich sehr persönliche Informationen preisgebe. Bei Oliver geht es um den konkreten Kontakt zum Publikum. Wir probieren daran noch viel, wie man abfedern kann, dass er viel tun kann und die Zuschauer*innen tendenziell nicht. Wir wollen den Zusammenhang zwischen Beobachtung - Aufmerksamkeit - Bewunderung klären. Das gesehen werden soll nicht primär unangenehm sein, es soll kein provokantes Machtspiel werden, eher eine gegenseitige Grosszügigkeit. Wir wollen weiche Verhältnisse gestalten.

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