Räume sind Co-Autoren jeder Arbeit

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Der Raum ist Co-Autor jeder Arbeit

Die Künstlerin und Regisseurin Claudia Bosse ist mit „the Last IDEAL PARADISE“ zur Tanzplattform 2018 eingeladen. Bloggerin Laura hat sich vorab mit ihr in Düsseldorf getroffen und über Räume, Arbeitsbedingungen und die Besonderheit des eingeladenen Werks gesprochen. Zwischen dem energischen Surren des Milchaufschäumers und Tassengeklapper in einer Eisdiele am Worringer Platz verriet Bosse an diesem Wintermorgen, welche Arbeitsphilosophien, Herangehensweisen und Träume sie hat.

Von Laura Biewald


Claudia, vielen Dank, dass wir uns zwischen Deinen vielen Terminen noch zu diesem Interview verabreden konnten. Eine Frage vorab: Was hat es mit der Ortsauswahl für unser Gespräch auf sich?
 
Ich habe diesen Ort vorgeschlagen, weil ich gerade mit theatercombinat in der Nähe arbeite. Wir zeigen heute Abend im Museum Kunstpalast den zweiten Teil des Projekts „VzV,vK! / REENACTING THE ARCHIVE – part 2“ und proben gleich um die Ecke.

theatercombinat – das ist die Kompagnie, deren Mitbegründerin und künstlerische Leiterin du bist. Bevor du dich entschieden hast, unabhängig zu arbeiten, hast du ein klassisches Regiestudium absolviert. Wie hat sich diese Zuwendung zur freien Szene hin entwickelt? Oder war dir vielleicht sogar bereits im Studium klar, dass du nicht an einem städtischen Theater arbeiten willst?


Also, bevor ich studiert habe, habe ich Assistenzen am Stadttheater gemacht und gelernt, textbasiert zu arbeiten, was ich dann auch erst einmal gemacht habe. Was mir eine erste Erweiterung gebracht hat, war die Arbeit im Théâtre du Grütli in Genf 1996: Dort bekam ich die Möglichkeit, ein Stück zu machen, bei dem ich mir das Ensemble aussuchen konnte und das stellte ich mir dann aus Tänzern und Schauspielern zusammen. Auch unter Mitwirkung von der kürzlich verstorbenen Noemi Lapzeson und Armand Deladoëy, die aus dem Tanz kamen, fand so eine erweiterte Arbeitsweise statt. Mit dieser Erfahrung war es sehr schwierig, am Stadttheater weiterzuarbeiten. Denn als ich dann eine Arbeit für das Berliner Ensemble, das Tournee-Theater, das es damals gab, gemacht habe und aber eigentlich einen Vertrag mit dem Staatstheater hatte, gab es schnell Konflikte, weil mich nicht so sehr die Figurendarstellung interessiert hat, sondern eher räumliche, chorische Konstellationen. Ich habe mir mehr und mehr die große Frage gestellt, in welchem Setting man seine Gedanken mit Körpern entwickelt. Es folgten dann immer öfter Arbeiten, die in den Tanzbereich übergingen und zugleich auch die Arbeit mit Installationen, bei denen es darum ging, verschiedene Medien in Räumen zu platzieren und eine Dramaturgie für einen Raum zu entwickeln, in dem sich gar kein Darsteller mehr befindet und der nur mit Objekten und/oder Sounds informiert ist.

Wie schwierig war es dann, sich in der freien Szene zu etablieren?


Am Anfang ging es gar nicht so sehr darum, sich zu etablieren, sondern zu arbeiten. theatercombinat gab uns einen Rahmen für neue Räume, neue Zeiten und neue Auseinandersetzungen. Hier konnten wir performativ forschen, besonders auch im Hinblick auf die Beziehung zum Zuschauer und über das, was wir veräußerlichen und wie wir es tun.

Das Wie ist bei deinen Arbeiten sehr stark mit Intermedialität verknüpft – was ist dir besonders wichtig daran und wie stufst du deren Relevanz für die performative Kunst ein?

Das ist eine schwierige Frage! So allgemein kann ich sie gar nicht beantworten, das muss man eher werkspezifisch betrachten. Wenn ich zum Beispiel eine Installation in einem Museum habe, die sich auf Werke dieses Museums bezieht, existiert eine Medialität der Objekte, Werke und Displays dort. Hier muss ich mir die Frage stellen, welche mediale Ebene ich dem entgegensetzen kann. Dieses Aufeinandertreffen finde ich höchst spannend. Darüber hinaus interessiert mich die Materialität der Dinge sehr stark und dass erkennbar ist, woraus sich etwas zusammensetzt, was dann wiederum die ästhetische Erfahrung ausmacht.

Kommen wir zum Werk, mit dem du zur Tanzplattform 2018 eingeladen bist. „the last IDEAL PARADISE“ hat eine besondere Reise hinter sich: Als eine Arbeit mit mehreren Stationen waren Teile von ihr in Wien, Bukarest und zuletzt in Düsseldorf zu erleben. Glaubst du, dass das Werk damit an einem Ziel angekommen ist, oder gibt es da noch weiteres Entwicklungspotenzial?

Diese Reise ist ja nicht nur geographisch zu sehen, sondern bezieht sich vor allem auch auf die verschiedenen Zustände des Werkes, die es in einem Verlauf von Zeit annimmt: Es beginnt installativ, dann wird es choreografisch, dann situativ und letztendlich wird es zum Chorstück. Ich freue mich wahnsinnig über die Einladung, da ich nun die Möglichkeit hatte, diesem Komplex aus einem zweijährigen Arbeitsprozess wieder zu begegnen. Es ist sehr interessant, wenn Dinge aus einer Dringlichkeit von Ereignissen der Gegenwart heraus entstehen, bei denen man auf Material zugreift. Zum Beispiel entstand ein Teil von „the last IDEAL PARADISE“ kurz nach den Anschlägen auf das Bataclan in Paris. Für mich war zu dieser Zeit Etienne Balibar der einzige, der wirklich etwas Substanzielles dazu zu sagen hatte. Bei einer Arbeit im Haus des Meeres in Wien habe ich dann auf seinen Text zugegriffen. Diesem Text jetzt wieder zu begegnen, ist sehr interessant für mich, weil sich inzwischen bestimmte politische Voraussetzungen verändert haben und sich Dringlichkeiten verschoben haben. Trotzdem möchte ich diesen Text weiterhin setzen, auch, um ihn zu überprüfen. 
Andererseits gestaltet es sich höchst spannend, diese Arbeit, die sehr raumspezifisch war, nun in einen ganz anderen Raum zu übertragen. 

Das würde mich auch interessieren, wie sich so ein Werk, das eine Entwicklung über zwei Jahre hinweg vollzogen hat, überhaupt nun als Ganzes auf die Bühne bringen lässt? Die Arbeit wird im März im Salzlager auf der Zeche Zollverein gezeigt, was ja auch ein ganz besonderes Setting ist…

Ja, absolut. Auch hier geht es um ein Überdenken. Choreografische Konstellationen entstehen manchmal aus einem bestimmten Raum heraus. Wenn ich jetzt, wie in diesem Fall, an einen Ort hin eingeladen werde, muss ich diese Arbeit auf die andere räumliche Situation übertragen. Ich bin davon überzeugt, dass Räume Co-Autoren von Arbeiten sind. Wenn ich einen Raumvorschlag annehme, finde ich in diesem Raum oft etwas vor, aus dem etwas entsteht, das ich mir vorher so nicht gedacht habe, das aber vielleicht immanent schon so in der Arbeit angelegt ist. Wenn ich dann den Raum wechsle, fange ich plötzlich an, bestimmte Dinge zu konstruieren, um diese Situation auch dort herzustellen. In welchem Rahmen das möglich ist, finde ich hochinteressant.


Hast du denn Angst davor, dass sich das Werk dann auf eine Art und Weise verändert, wie du sie gar nicht haben willst? 

Nein, das nicht. Ich denke oft darüber nach, aber auch, wenn du damit haderst, musst du als Künstler in der Lage sein, mit den Bedingungen umzugehen. Du kannst nicht über Bedingungen nachdenken, die du nicht hast. Wenn du sie akzeptierst – und ich freue mich sehr auf das Salzlager – wird sich automatisch etwas verschieben. In diesem Überprüfen der Bedingungen muss ich wiederum eine Qualität erzeugen.

Andere Umstände stellen also letztendlich immer einen Mehrwert dar?


Das hofft man, ja! (lacht) Manchmal gelingt’s und manchmal nicht. Darin besteht die Herausforderung. Es kann dir auch passieren, dass die Beziehung ziemlich mies wird. Aber wenn der Ort, an dem du arbeitest, eine Haltung hat und eine gewisse Sorgfalt an den Tag legt, was ich bei PACT so empfinde, dann schlägt sich das auch auf die Arbeit nieder. Das ist sehr selten und sehr wertvoll.

Claudia, eine letzte Frage: Welche Art von Arbeit würdest du gerne zeigen, wenn Geld keine Rollen spielte?


Oh, da habe ich zwei Antworten: Zum einen würde ich gerne mal wieder auf einer Textgrundlage mit einem sehr großen Chor arbeiten. Und zum anderen habe ich schon länger die Idee, mit einem internationalen Team aus zwölf Künstler*innen oder Performer*innen ein Jahr lang zu arbeiten und sich in dieser Zeit durch eine Stadt zu bewegen, um dort jeden Tag eine Performance zu machen. Das heißt, jeden Tag über 365 Tage fände ein Akt oder eine Setzung statt und man würde sich im Sinne eines nomadisierenden Korpus mit einem Stadtraum auseinandersetzen.


Welche Stadt hast du da im Sinn?


Ich hatte das Ganze mal für Wien angedacht, aber das war leider nicht finanzierbar. Schön wäre aber eine Stadt, die sehr komplex in ihrer Zusammensetzung ist, sodass sich dieser nomadisierende Organismus immer wieder auf andere Dinge beziehen muss.


Das klingt spannend! Dann hoffen wir, dass das irgendwann doch noch möglich wird.


Das wäre wirklich toll!